Direitinho: Willkommen in der Finsternis
José Riço Direitinho:
»Willkommen in der Finsternis«
Stadtgeschichten

Aus dem Portugiesischen
von Ralph Roger Glöckler

2006, Ln., 208 S.
€ 18 [D] / € 18,50 [A] / sFr 31
ISBN 978-3-932245-74-9

Textauszug
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José Riço Direitinho, geboren 1965 in Lissabon, studierte Agrarwissenschaft und Landwirtschaftliche Soziologie. Für seine literarische Produktion erhielt er zahlreiche Preise, unter anderem 1994 den Grande Prémio de Romance e Novela des portugiesischen Schriftstellerverbandes A.P.E. Übersetzungen in andere Sprachen ließen ihn zu einem Hauptvertreter der neuen Schriftstellergeneration Portugals werden.
Zuletzt erschienen: Brevier der schlechten Gewohnheiten (1997), Das Haus am Rande des Dorfes (1997), Kerker der Engel (2000).

Porträt José Riço Direitinho

Kritikerstimmen:

»José Riço Direitinho ist eine der interessantesten Stimmen seines Landes.«
Wilfried F. Schoeller, Hessischer Rundfunk

»Direitinho hat nicht nur Spaß am Erzählen, er kann es – besser als viele.«
Hans-Peter Kunisch, Süddeutsche Zeitung
Über das Buch

José Riço Direitinho – bekannt dafür, seine Leser in die magische Welt des portugiesischen Landes zu entführen, in der die Zeit stehen geblieben zu sein scheint – hat seine neuen Erzählungen allesamt in Berlin geschrieben: Sie handeln von Begegnungen mit verzweifelt um Hoffnungen und Illusionen kämpfenden Menschen in den Städten Nordeuropas. Reykjavík, Tromsø, Stockholm, Kopenhagen, Helsinki, Berlin – das sind die Orte, an denen Direitinho Menschen begegnet, die auf die eine oder andere Weise nach dem imaginären Fenster suchen, aus dem sie in einen blauen Himmel springen können, um zu fliegen. Oft bleiben jedoch nur Verzweiflung, Drogen, Selbstmord. Sie alle leiden an einem existenziellen Schmerz, der einen körperlichen Schmerz sucht, um das oft namenlose Leiden ausdrücken zu können. Diese Erzählungen diagnostizieren seelische Obdachlosigkeit, die Suche nach unmöglicher Liebe, das Umherdriften in einer Wirklichkeit, die nur noch durch das immer wiederkehrende Wort »Einsamkeit« zu benennen ist.






Textauszug:

»Die Straßencafés – das eine oder andere von niedrigen, efeubewachsenen Zäunen umgeben – vor einigen Restaurants und Bars des Savignyplatzes sowie in vielen anderen Winkeln, die auch in der Nähe dessen lagen, was damals noch das Zentrum der Stadt war, beherbergten große Bäume, die dort wie willkürlich stehen gelassen schienen – zwischen den wenigen Tischen – in der Absicht, ein ländliches Ambiente zu schaffen. Überraschende, weil stille, nahezu bukolische Szenarien, um das Ruhebedürfnis desjenigen zu befriedigen, der ins neue Berlin ohne Mauer kommt – zehn Jahre und einige Monate nach dem November des ›Falls‹ – … der Mauerfall … begleitet von der Erinnerung an eine andere große Stadt, der Hauptstadt eines südeuropäischen Landes … das neue Berlin … Ich blickte in einem weiteren Versuch umher, mich des Unwohlseins zu entledigen, das mir die Aufdringlichkeit von Hitze und Licht verursachte. Und dabei entdeckte ich sie – oder besser vielleicht: die Gruppe, in der sie sich befand. Ich erinnere mich nicht, ob es deshalb war, weil mich ausschließlich ihre, mit dem Gezwitscher der Vögel vermengten, Stimmen erreichten oder aus einem anderen Grund, den ich wohl augenblicklich vergessen habe.
Sibylle erinnerte mich wieder an ein umherirrendes Schiff. Es war, als berge sie eines jener sagenhaften Seen- und Meeresgeheimnisse in sich, die sich gelegentlich mit dem erwarteten Auftauchen von Ungeheuern schmücken, die seit Urzeiten, in denen sie in liebenswürdiger Ehrerbietung von den Göttern besucht wurden, in den finsteren Wassern der Tiefe leben. Sie war eines jener Geheimnisse, die mit den stets von weisen, unverdächtigen Stimmen erzählten Geschichten immer größer werden, und die es unserem logischen Denken aufgrund unserer irrationalen Ängste und dem beschwichtigenden Vergehen der Jahre immer schwieriger machen, sie zu deuten. Dessen war ich ganz sicher.«

© 2006 Elfenbein Verlag

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