Peroutka: Adieu, Jeanne
Ferdinand Peroutka:
»Adieu, Jeanne oder Die zweite Chance der Jungfrau«
Roman
Aus dem Tschechischen von Mira Sonnenschein
2011, Ln., 368 S.
€ 22 [D] / € 22,60 [A] / sFr 31,80
ISBN 978-3-941184-07-7
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Buch

»Schon wieder Jeanne d’Arc!«, werden die Leute denken. Aber der Schriftsteller AB ist stolz auf sein jüngstes Versdrama. Zumindest bis ihn sein Freund und Kollege JS aufstachelt: Johanna hat auf dem schon brennenden Scheiterhaufen sicher keine zweieinhalbminütige Rede über Politik gehalten – noch dazu in Jamben! Als der Zweifel in AB immer stärker nagt, entschließt er sich, Johannas Geschichte noch einmal zu behandeln, in Prosa, ohne den »Schutz der Verse«. Inmitten aller Porträts und Berichte über die Jungfrau und ihre Zeit findet AB sein Schlupfloch, das Besondere, das nie Dagewesene: La Hire und d’Aulon gelang die Rettung Johannas vor dem Feuertod. Von ihren Stimmen verlassen und durch Niederlagen entzaubert, umgeben vom kriegsmüden Adel und einer eigensinnigen Kirche – was hätte Jeanne d’Arc in ihrem »späteren Leben« noch erreichen können? – Der bedeutende tschechoslowakische Journalist und Schriftsteller Ferdinand Peroutka führt hier kunstvoll den Roman im Roman vor.

Autor

Ferdinand Peroutka (1895–1978) war als politischer Journalist tätig und verfasste neben dem Roman »Pozdější život Panny« (wörtl.: Das spätere Leben der Jungfrau, 1980) auch Theaterstücke. Bereits als 24-Jähriger war er verantwortlicher Redakteur der neu gegründeten Zeitun »Tribuna«, in der u. a. auch Milena Jesenská, Jaroslav Hašek und Karel Poláček publizierten. 1924 wurde er Chefredakteur der demokratischen Zeitschrift »Přítomnost« (Gegenwart), die Karl Kraus’ »Fackel« zum Vorbild hatte und vom tschechoslowakischen Präsidenten Tomáš Garrigue Masaryk finanziell unterstützt wurde. Bis 1939 arbeitete er zudem als politischer Kommentator für die Zeitung »Lidové noviny« (Volkszeitung). Nach der deutschen Besetzung de Tschechoslowakei wurde Peroutka verhaftet und in das nationalsozialistische Konzentrationslager Buchenwald überstellt. 1945 begann er, als erklärter Gegner des Kommunismus wieder für »Lidové noviny« zu schreiben. 1948 als Chefredakteur abgelöst, ging Peroutka ins Exil nach London und, nachdem er 1950 das Angebot erhielt, am Aufbau der tschechischen Sektion des Senders »Radio Free Europe« mitzuwirken, nach New York, wo er als »noncitizen« starb. 1991 wurde seine Urne auf den Prager Friedhof Vyšehrad überführt.
Vom selben Autor erschien auch der Roman: »Wolke und Walzer«

Auszug

Die Bediensteten waren gegangen, und Johanna empfand den Geruch des Parfüms immer stärker als Belästigung. Die Luft hier war ohnehin abgestanden, ein stickiges Gemisch aus Feuchtigkeit, altem Holz, Teppichen und vielen Gobelins. In der dicken Wand ein einziges Fenster, das aus lauter bunten, meist dunkelfarbenen, in Blei gefassten Glastäfelchen bestand. Sie öffnete das Fenster, kniete sich auf die darunter stehende Bank mit dem Polster aus rotem Samt, lehnte den Kopf hinaus, soweit es ging, atmete die Luft in tiefen Zügen ein und versenkte ihren Blick in die Landschaft, die sich vor ihr nach allen Seiten bis weit zum Horizont erstreckte.
Der Garten Frankreichs. Sommer an der Loire. Sanfte Hügel über dem Fluss, in dem sich der blaue Himmel widerspiegelt. In der reinen Luft sind alle Formen deutlich erkennbar. Gestochen klar ragen die Spitzen der Weinstöcke und die an ihnen hinaufkletternden Reben empor. Dahinter, an einem weit entfernten Baum, wiegt sich ein großer Zweig in einer leichten Brise. Das Grün ist so grün wie nur möglich. Das Rot und Blau hier und da ist ein sattes Rot, ein grelles Blau, ohne Scheu, ohne Zurückhaltung. Am Horizont ein Bauer. Der Duft durchwärmten Bodens, der eben erst von Regenwasser getränkt wurde, steigt zum Fenster hinauf.

*

Sie öffnete das Fenster …, dachte AB. Ich bin mir nicht sicher, ob die Fenster einer mittelalterlichen Burg geöffnet werden konnten. Bei einigen, die ich gesehen habe, war das bestimmt nicht möglich. Sie versenkte ihren Blick in die Landschaft … Unsinn. Johanna war kein Tourist, sie war ein leidenschaftlich politischer Mensch. Und kein Stadtmensch. Die Natur flüstert lieblich zum Städter, nicht zum Landmenschen. Johanna kam vom Land, ihr ganzes Leben hatte sie in der Natur verbracht, sie bewunderte sie nicht. Das sind nicht ihre Gefühle, das ist eine Schilderung meiner Gefühle, so würde ich empfinden, wenn ich im Juni an einem offenem Fenster einer Burg an der Loire stünde. Im Mittelalter bewunderte ohnehin niemand die Natur. Das Banner oder der Mantel eines Ritters bedeutete Johanna mehr als ein blühender Baum.
AB zog die Seite aus der Schreibmaschine, warf sie in den Papierkorb und spannte ein neues Blatt ein.
Wir fangen noch mal dort an, wo die Dienstmädchen sich zurückzogen.

Pressestimmen

»Ein Buch des Zwiespalts zwischen moderner Erfahrung, konservativer Skepsis gegenüber Konsumwelt und zeitgenössischer Ästhetik und dem ›beharrlichen Glauben an die Vernunft‹ …«
(»jkf«, Neue Zürcher Zeitung)

»Peroutka zeigt auf eindrucksvolle Weise das Scheitern seiner Heldenfigur … hervorragend übersetzt …«
(Volker Strebel, Prager Zeitung)

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