»Nosig« sagen die Fliegermeteorologen und meinen: »No significant change«. Der Held der Erzählung kündigt seinen Traumjob und verabschiedet sich von einer quälenden Kindheit. Er hat Lena getroffen, Norwegisch gelernt, um in ihrer Muttersprache mit ihr zu schweigen, und wird ihr schließlich nach Skandinavien folgen. Nosig ist ein Roman der Befreiung. Florian Bergmeier erzählt in einer klaren Sprache den Abschied eines Mannes von einem Leben, das sich plötzlich überholt hat.
Florian Bergmeier (geb. 1967) verbrachte seine Kindheit auf den Philippinen. Nach seiner Ausbildung, die er in Florida absolviert hat, arbeitete er als Pilot. Heute lebt er in Berlin. »Nosig« ist sein erster Roman. Zuletzt erschien der Roman »Wo all das hier nicht ist«.
Im Golf von Tonking treibt ein Stück Holz.
Das Meer ist für die Jahreszeit ungewöhnlich ruhig, und so dümpelt das Holz im Takt des Seegangs gemächlich auf und ab. Nur manchmal, wenn der Ausläufer einer Bugwelle es zu fassen bekommt, taucht es kurz unter, taucht wieder auf, wird an die Piermauer gedrückt und schwappt an ihr entlang. Dann legt sich die Unruhe wieder, und das Holz dümpelt ungestört weiter. Das Unbedeutendste in diesem Hafen beobachtet er und nimmt es in sich auf.
Die Frachtschiffe aus aller Welt aber, für die sich der große Mann begeistert, sind Pflicht; ebenso die rostigen Gabelstapler, die immer neue Paletten mit Reissäcken aus den schwefligen Lagerhallen am Kai absetzen, die riesigen Container, die, von Kränen gehalten, durch die Luft schaukeln, die verschwitzten und ölverschmierten Arbeiter und Matrosen, die sich durch das ohrenbetäubende Quietschen der Winden und das Dröhnen der Lastwagen Befehle zuschreien. Diese Eindrücke gehören nicht ihm, sondern dem großen Mann, hinter dem seine Schwester und er hertrotten; sie interessieren ihn nicht, weil sie ihm befohlen worden sind. Das Holzstück dagegen gehört ihm, nur er weiß davon, niemand sonst. Das ist seine Freiheit.
Viel zu schnell sind sie an das Ende des letzten Piers gekommen, an das Ende des Hafens, an den Anfang vom Rest des Tages. Der Beton, auf dem sie laufen, ist eine Herdplatte, die Hitze und die salzige Luft brennen in seinen chlorverätzten Augen.
"Fünfundzwanzig Bahnen, und wehe, du schwimmst eine weniger, ich zähle mit!" hatten die Gelbzähne ein paar Stunden vorher kommandiert. Das war die erste Pflicht heute. Der große Mann setzte sich in den Schatten, schlug die Beine übereinander und steckte sich eine Pfeife an (sind die Zähne deswegen so gelb, wegen der Pfeife?). Dann bestellte er sich Kaffee und blätterte in einem Buch, für das sich der Junge bestimmt auch bald zu interessieren hat. So, wie er dasaß, in seiner beigen Hose, ein rotes Bergsteigertuch um den Hals, und jede Bahn kontrollierte, war ihm der große Mann der fremdeste Mensch auf der ganzen Welt.
© 1999 Elfenbein Verlag
Startseite