Bergmeier: Wo all das hier nicht ist
Florian Bergmeier:
»Wo all das hier nicht ist«
Roman
2013, Geb., 208 S.
€ 19 [D] / € 19,60 [A] / sFr 27,50
ISBN 978-3-941184-21-3
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Buch

Nach einem Aufenthalt in einer Entzugsklinik im Taunus kehrt der Ich-Erzähler Valentin zurück nach Hamburg mit dem Ziel, seine Wohnung aufzulösen und bei seinem besten Freund Manuel auf Korsika einen Neubeginn zu wagen. Die Nachricht vom Tod seines Vaters in Amerika bringt ihn allerdings von seinen Vorsätzen ab, und die Vergangenheit holt ihn augenblicklich ein. Man bietet ihm eine größere Summe Geldes, wenn er darin einwilligt, keinen Kontakt zur Familie in Übersee aufzunehmen und keine Erbansprüche zu stellen. Sehr bald wird Valentin, der das Geld annimmt, deutlich, dass er es nicht behalten kann – er entschließt sich, es einer gemeinnützigen Organisation am Ort der eigenen Kindheit zu spenden: Die nun beginnende Reise nach Manila, in eine von Gewalt und Missbrauch geprägte Gesellschaft, wird für den Ich-Erzähler zu einer aufwühlenden Fahrt in lange verdrängte Kindheitserinnerungen.

Autor

Florian Bergmeier (geb. 1967 in Heidelberg) wuchs in Manila auf und lebt heute als Schriftsteller, Musikautor und Übersetzer in Berlin. Bereits erschienen: „Nosig“ (1999) und „Gänsebucht“ (2007).

Auszug

Der Wumms, mit dem der Immigration Officer B. Mendoza seinen Stempel in meinen Pass knallt, rüttelt mich wach. „Welcome to the Philippines.“ Draußen vor dem Terminal bedrängen mich Taxifahrer und schnappen nach meinem Koffer, ich wimmle sie ab, setze mich auf eine Bank und sehe an der Reihe philippinischer Fahnen vorbei in den Himmel und atme die Luft, diese Luft. Ich brauche noch ein bisschen, erst muss der Boden unter meinen Füßen zur Ruhe kommen. Fühlt es sich so an, wenn man weiß, dass man einen Fehler gemacht hat? Ganz gleich, wie penetrant die Fahrer versuchen, mich in ihr Taxi zu zerren, ich bin noch nicht bereit, muss mir erst ganz klar werden, wo ich bin und dass ich tatsächlich … Ein großer Fehler! Wenn ich diese Stadt, dieses Land betrete, werde ich die Orientierung verlieren, weil ich nicht wegen des Ortes gekommen bin, sondern, wenn überhaupt, wegen der Zeit, aber die ist vergangen. Was habe ich getan? Jeder Schritt, den ich tue: wie auf einem Ponton. Rosenkranz am Rückspiegel, eine Madonna auf dem Taxameter. Wie klein das alles hier ist, wie eng die Straßen.
„Your first time to Manila?“
„No, no, I’ve been here before.“
Ich bin müde, die Luft ist heiß und feucht und schwer in der Brust.
Wir biegen in den Roxas Boulevard ein, obwohl im Verkehr von Manila niemand irgendwohin abbiegt. Man gibt vielmehr mit dem Lenkrad eine grobe Richtung vor und lässt sich dann vom Verkehr bugsieren. Kirmes-Autoscooter in Zeitlupe. Ich erschrecke, weil das Meer nicht mehr da ist, sehe auf meine Uhr, klar und deutlich, frage den Fahrer, wo das Meer ist. Landgewinnung, sagt er, und darauf haben sie einen Industriepark gebaut mit großem Callcenter und Shopping-Mall, das Meer kommt später noch. Hier, rechts, das Bürogebäude, dort war die Reederei, Vaters Büro. Als wir näherkommen, sehe ich, dass es hier gebrannt haben muss, wie schwarz drapiert die Rußfahnen aus den Fenstern. Ich erkläre dem Fahrer, dass mein Vater in diesem Gebäude einmal … Was denn passiert sei. Ja, ja, ausgebrannt, vor drei, vier Jahren, großes Feuer, alles zerstört. Eine Müdigkeit jetzt seit einigen Minuten in mir, die nicht mit fehlendem Schlaf zu erklären ist, da kenne ich mich aus, das hat auch nichts mit dem Klima oder Jetlag zu tun, fühlt sich eher an wie eine drohende Narkolepsie. Später taucht ein Apartmenthochhaus auf, das ich fast völlig vergessen habe. „Excelsior“ steht dort immer noch, nach vierzig Jahren, obwohl eigentlich nur noch „…x…s…r“ zu lesen ist. Irgendetwas in mir verweigert die Erinnerung, verneint, jemals hier gewesen zu sein, geschweige denn die ersten bewussten sieben Jahre hier verbracht zu haben. Ich weiß nicht, ob dieses Etwas in mir eine bessere Stadt haben will oder eine bessere Erinnerung.
„This building“, ich zeige auf das Apartmenthaus. Hier, sage ich, haben wir zuerst gewohnt, als wir nach Manila gekommen sind.
„Ei nako! No good. Now this is no good house anymore, all broken, very bad house.“
Soweit ich mich erinnere, war es schon damals kein gutes Haus gewesen.
Im Hotelzimmer rücke ich einen Sessel ans große Fenster und blicke hinaus zum Meer, zur Manila Bay.

Pressestimmen

„Sprachlich überzeugender Roman mit einem sympathischen Helden.“
(Heike Hauf, literaturkritik.de)

© 2013 Elfenbein Verlag

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