Luís de Camões (1524-1580) war neben Francisco de Sá de Miranda und António Ferreira der bedeutendste Dichter Portugals im 16. Jahrhundert. Er entstammte einem verarmten Adelsgeschlecht, studierte in Coimbra und kam 1542 an den Hof von Lissabon, von dem er wegen eines Duells wieder verwiesen wurde. Er führte fortan ein unstetes Leben und kam mehrfach ins Gefängnis. Camões bereiste verschiedene portugiesische Kolonien in Asien, unter anderem Goa und Macao, wo die Lusiaden entstanden. Nach Portugal zurückgekehrt gewährte ihm der König einen kleinen Ehrensold. Camões starb völlig verarmt an der Pest. In deutscher Sprache erschienen die Lusiaden erstmals 1806.
Erster Gesang, Strophe 1 bis 8:
Die kriegerischen, kühnen Heldenscharen,
Vom Weststrand Lusitaniens ausgesandt,
Die auf den Meeren, nie zuvor befahren,
Sogar passierten Taprobanas Strand,
Die mehr erprobt in Kriegen und Gefahren,
Als man der Menschenkraft hat zuerkannt,
Und unter fernem Volk errichtet haben
Ein neues Reich, dem so viel Glanz sie gaben;
Und die Erinnerungen voller Ruhm
An jene Könige, die stets gemehrt
Das Reich, den Glauben und das Heidentum
In Afrika und Asien zerstört,
Und jene auch, die durch ihr tapferes Tun
Des Todes Forderung von sich gewehrt:
Will mit Gesang ich überall verbreiten,
Wenn mich Talent und Kunst dabei begleiten.
Genug vom schlauen Griechen, vom Trojan
Und von den großen Fahrten, die sie machten;
Genug von Alexander und Trajan,
Von Siegesehren auch, die ihnen lachten;
Ich singe jetzt vom tapferen Lusitan,
Dem sich Neptun und Mars gefügig machten.
Genug von dem, was früher war zu loben,
Denn ein viel größerer Mut hat sich erhoben.
Und ihr, meine Tagiden, habt entfacht
In mir neue Begabung, volle Glut,
Wenn stets, mit einem schlichten Vers bedacht
Von mir ward heiter eures Flusses Flut,
Gebt mir jetzt einen hohen Ton voll Macht,
Einen erhabenen Stil, der Rede Flut,
Damit Phoibos befiehlt, daß eure Welle
Nicht mehr beneide Hippokrenes Quelle.
Verleiht mir Leidenschaft und schönen Sang,
Nicht wie der rauhe Ton der Hirtenflöte,
Vielmehr der kriegerischen Tuba Klang,
Der Mut entzünde und Gesichter röte;
Ich will die Taten rühmen mit Gesang
Des Volks, das Mars durch Kühnheit so erhöhte;
In aller Welt soll man von ihnen singen,
Gelingt es, solchen Preis in Vers zu bringen.
Und Ihr, o hochgeborene, starke Wacht
Von Lusitaniens alter Sicherheit,
Daß Ihr das Reich des Glaubens größer macht,
Erhofft sich fest die kleine Christenheit;
Ihr schreckt so jung der Mauren Heeresmacht,
O schicksalhaftes Wunder unserer Zeit,
Der Welt von Gott geschenkt (der alles lenkt,
Daß von der Welt ihm werde viel geschenkt);
Ihr, zarter Blütenzweig an einem Baum,
Von Christus, dem Erlöser, mehr geliebt
Als jeder andere in des Westens Raum,
Der Kaiser sich und Allerchristlich schrieb;
(Seht Euer Wappen, dort ist anzuschauen
Und zu erkennen, wie man einst gesiegt,
Sein Wappen hat Euch Christus dort gegeben,
Das er sich gab, als man ihm nahm das Leben);
Ihr, starker König, dessen großes Reich
Die Sonne schon erblickt, kaum daß sie steigt;
Erblickt, wenn beide Tageshälften gleich,
Und noch erblickt, wenn sie sich niederneigt;
Ihr sollt das Joch sein und die Schmach zugleich
Des Reiterheeres Ismaels, das weicht,
Der Türken aus dem Orient und des Stammes,
Der noch das heilige Wasser trinkt des Ganges.
»Überraschend ist die sprachliche Qualität dieser Wiedergabe. Camões' ursprüngliches, von Ariost übernommenes Vers- und Strophenmaß, die Ottava Rima, ist im Deutschen weitgehend beibehalten. Bis in inhaltliche und stilistische Details hinein ist die Übersetzung wunderbar präzise, es gelingt ihr, einen »literarischen Ton« für das in der deutschen Literatur nicht existierende frühneuzeitliche Nationalepos zu erfinden. Man muß der sprachlichen Leistung der Übersetzer Bewunderung zollen.«
(Hans Ulrich Gumbrecht, Frankfurter Allgemeine Zeitung)
»Dem Übersetzer Hans Joachim Schaeffer ist eine äußerst les- und hörbare deutsche Version gelungen. Sein Camões erinnert an Schillers balladesken Ton; Wollen wir also sehr zufrieden sein mit diesen neuen deutschen »Lusiaden«, die uns endlich wieder ein literarisches Monument des Zeitalters der Entdeckungen innerhalb des Horizonts unseres Europaverständnisses rücken.«
(Thomas Sträter, Neue Zürcher Zeitung)
»Der kleine Elfenbein Verlag legt am Ende des Jahrhunderts eine fabelhaft schöne, gründlich kommentierte, mit einem Nachwort versehene - und, das ist das Wichtigste - lesbare, dem Original gerecht werdende Übersetzung vor. So entstehen in der Regel Poese- Publikationen. Die Kooperation des Übersetzers mit Rafael Arnold, einem weiteren kenntnisreichen Lusitanisten, hat zu dieser mustergültigen Edition geführt.«
(Hans-Jürgen Schmitt, Frankfurter Rundschau)
»Die ›Lusiaden‹ sind das bedeutendste und berühmteste Werk der portugiesischen Dichtung, ein gigantischer Stoff, der die ganze portugiesische Geschichte und ihre Einordnung in die Geographie der Welt und den Bau des Universums umfaßt.
Camões zeigt sich in ihnen als ein Dichter von großer Kraft der Erzählung und Schilderung. Er selbst rühmt sich, in seinem Heldenlied nicht Erdichtetes, sondern nur wirklich Geschehenes zu berichten, und bis heute hebt die Kritik den geschichtlichen Wahrheitsgehalt und die Wirklichkeitsnähe der Darstellung als unvergleichliche Vorzüge des Werks hervor.«
(Albin E. Beau, Kindlers Neues Literatur Lexikon)
© 1999 Elfenbein Verlag
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