Holbein: Januskopfweh Ulrich Holbein:
»Januskopfweh«
Glossen, Quickies und Grotesken

2003, geb., 200 S.
€ 18 / sFr 31
ISBN 3-932245-57-1



Textauszug
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Ulrich Holbein, geb. 1953 in Erfurt, studierte Theologie, Biologie und freie Malerei in Tübingen und anderswo. Seit 1977 freier Schriftsteller, erhielt er als einer der interessantesten Sprachkünstler zwei Preise, zwei Förderpreise, fünf Stipendien. Holbein lebt seit 1983 im hessischen Knüllgebirge. Zahlreiche Buchveröffentlichungen und Kolumnen.
Zuletzt erschienen: Isis entschleiert



Kritikerstimmen:

Einfallsreichtum, Witz und Spielfreude Ulrich Holbeins suchen in der deutschen Gegenwartsliteratur ihresgleichen.
Matthias Bischoff, Frankfurter Allgemeine Zeitung

Die deutschsprachige Gegenwartsliteratur hat sich seit längerem nicht mehr so gekonnt auf einen auch phantastisch begabten Kopf gestellt.
Ludger Lütkehaus, Die Zeit

Hier ist ein Geist am Werk, der wie aus dem jungen Jean Paul, dem Walter Benjamin der hintersinnig-skurrilsten Stunden und dem Arno Schmidt seiner kauzigsten Minuten gekreuzt erscheint.
Jörg Drews, Basler Zeitung

Ulrich Holbein ist ein sprachsinnig durchtriebener Satiriker auf dem besten Weg vom Geheimtip zur Institution.
Der Spiegel

Holbein ist ein Welt- oder zumindest Deutscher Meister der geistreichen Endlos-Paraphrase.
Martin Krumbholz, Die Tageszeitung

Holbeins Bücher bereiten einen Spaß, den es seit Arno Schmidt in unserer Literatur nicht mehr gegeben hat.
Klaus Modick, Frankfurter Rundschau
Über das Buch

Ulrich Holbein zerbricht sich hier den Januskopf über viele knifflige, zweideutige, tiefschürfende und beiläufige Fragen, die aber stets ins Zentrum der Welt zielen: »Was seh ich, wenn ich in den Spiegel guck?« -- »Wie hieß der erste Taliban?« -- »Sind Wolken die friedlicheren Lebewesen?« -- »Würden Sie mich bitte ausreden lassen?« -- Er durchläuft hierbei alle Künste und Disziplinen, von der Sexualität bis zum Auferstehungsglauben.


Veröffentlichungen:

Seit 1990 über 400 Glossen,
Essays, Radiosendungen,
Hörspiele und vieles mehr.
Kolumnen: Sprachlupe (Zeit),
Standardsituationen (SZ)
und Mythologische Schlüsselszenen (FAZ).

Ausgewählte Bücher:
Der illustrierte Homunculus (1989),
Samthase und Odradek (1990),
Der belauschte Lärm (1991),
Die vollbesetzte Bildungslücke (1992),
Ozeanische Sekunde (1993),
Sprachlupe (1996),
Werden auch Sie ein Genie! 66 Tips (1997),
Nekrologe (1999)
Isis entschleiert (2000)


Textauszug:

JOJO: Isst du nicht Marmelade oder was?
ULI: Weder noch.
JOJO: Wenn du die Dinger so liegen lässt, kannst Du sie wegschmeißen. So, bist du dann fertig mit frühstücken? Wo kann ich denn den Käse und die Butter hinmachen, ohne dass sie vergammeln? Und das hier bitte noch aufessen, morgen ist es schlecht. -- Wie lüftest du hier eigentlich?
ULI: Selten.
JOJO: Und wo gibt’s hier frische Abtrockentücher?
ULI: Nicht dass ich wüsste.
JOJO: Ich denk, du wohnst hier. -- Wo sind eigentlich deine Lebensmittelvorräte?
ULI: Müsst ich lange nachdenken …
JOJO: Sobald du dir endlich mal 'n Kühlschrank anschaffen würdest -- denn der hier ist ja ziemlich hinüber.
ULI: So was brauchen nur Fleischesser.
JOJO: Milch zum Beispiel. Wenn du die Milch hier übermorgen noch trinken willst, kannst Du sie wegschmeißen. Im Kühlschrank könntest du sie nächste Woche noch trinken.
ULI: Ich trinke aber nie Milch im Kühlschrank.
JOJO: Ungekühlt ist es unmöglich. Denn in der Luft sind in jedem Kubikmeter Luft, in jedem Atemzug, da sind hundert Milliarden Bakterien, die sofort hier rein gehn, und die Milch versauern, und in jedes Lebensmittel, in jede Marmelade, in jedes Ding, was du irgendwie hast, in jedes Brot, hier, diese Tüte mit altem Brot, die gehört von Rechts wegen in die Mülltonne. Und die Brötchen hier, die sind nur deshalb nicht hart geworden, weil sie Feuchtigkeit angezogen haben. Weil du nie lüftest. Die Äpfel hier, vollkommen verfault und matschig. Oder hier, in dieser Schublade, zwischen diesen Bleistiften: Bonbons, guck mal, wie verflüssigt die sind und alles verkleben. Und das hier, das fault dir unterm Hintern weg. Natürlich ist das nicht mein Bier, deshalb will ich nichts sagen --
ULI: Mein Bier auch nicht.
JOJO: Kann die weg, die Büchse hier? Guck mal da rein. Und hier der Schrank müsste dringend -- fass mal hier rein.
ULI: Nicht dein Bier, aber dein Thema. Über Fäulnis sprichst du sehr gern, sehr oft … praktisch jedes Mal. Du bist da irgendwie vorbelastet.
JOJO: Weil’s mich anwidert. Außerdem sprech ich nicht drüber, sondern reg mich auf drüber. Kannste mal hier mit anfassen? Den Schrank so kippen, dass ich unten drankomm?
ULI: Immer wenn du mich besuchst, machst du das zum Leitmotiv. Irgendwie zwanghaft.
JOJO: Weil's hier üblich ist, dass hier alles vor die Hunde --
ULI: Ich merk davon nichts ...
JOJO: Du weißt nichts von diesem Eimer hier? Mit diesen Bio-Abfällen? Dass der täglich geleert und ausgewaschen werden muss? Den müsst ich erst mal zwei Tage wässern, damit dieses faulige Zeuch hier raus geht.
ULI: Iiiihgittigitt!
JOJO: Warum polierst du das nicht täglich? Ausspülen, trocknen, wiederbenutzen. Wenigstens alle zwei Tage. Aber der hier steht ja wochenlang, bis er übervoll ist und vor sich hinstinkt. Untenrein gehört 'ne Zeitung, damit sich nicht so ein säuischer Schlamm bildet.
ULI: Die will ich aber noch lesen.
JOJO: Das sind einfach Dinge, die ich einfach nicht begreife.
ULI: Für mich ist das halt überhaupt kein Lebensthema. So wie für dich.
JOJO: Nimm einen Tropfen von dem, was hier in diesem Eimer passiert, unters Mikroskop -- und du bist so entsetzt wie ich.
ULI: Sind das überhaupt hundert Myriaden? Oder bloß hundert Millionen?
JOJO: Und wenns hundert wären. Das würde ausreichen --
ULI: Wieviel sind's denn? Hundert?

© 2002 Elfenbein Verlag

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