Josep Maria de Sagarra: Privatsachen
Josep Maria de Sagarra:
»Privatsachen«
Roman

Aus dem Katalanischen von Felice Balletta und Sven Limbeck


2009, Ln., 416 S.
€ 25 [D] / € 25,70 [A] /
sFr 44,60
ISBN 978-3-932245-86-2



Textauszug
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Josep Maria de Sagarra (1894–1961) gilt als einer der populärsten und vielseitigsten katalanischen Autoren seiner Zeit. Sagarra, der nach dem Studium der Rechtwissenschaft zunächst eine diplomatische Karriere anstrebte, widmete sich vor allem dem Theater und der Lyrik. Inspirationsquelle für seine Stoffe waren oftmals alte spanische Volkslieder oder bekannte Legenden. Auch als Publizist und Übersetzer von Shakespeare-Stücken und Dante Alighieris »Göttlicher Komödie« machte sich Sagarra einen Namen. Einige von Sagarras erfolgreichsten Theaterstücken wurden verfilmt, zahlreiche seiner Gedichte von berühmten katalanischen Liedermachern wie Lluís Llach oder Joan Manuel Serrat vertont.



Über das Buch

Ein unbezahlter Wechsel und seine fatalen Folgen – als sich Don Tomàs de Lloberola, das kauzig-hypochondrische Oberhaupt einer verarmten Barceloneser Adelsfamilie, weigert, für die Spielschulden seines ältesten Sohnes Frederic zu bürgen, provoziert er mit seiner Entscheidung eine Reaktion mit weitreichenden Konsequenzen… In seinem bekanntesten Roman (erschienen 1932) beschreibt Josep Maria de Sagarra, der selbst der katalanischen Aristokratie entstammt, mehr als nur den finanziellen und moralischen Niedergang der mittellosen, aber stolzen Lloberolas. »Privatsachen« ist zugleich ein emblematischer Schlüsselroman von epischer Breite, der alle Gesellschaftsschichten Barcelonas umfasst: anachronistisch wirkende Aristokraten und neureiche Emporkömmlinge, geschäftstüchtige Konkubinen und falsche Heilige. Wortgewaltig, spöttisch bis zur Blasphemie und mit großer, kraftvoller Bildhaftigkeit blickt Sagarra auf das Doppelleben seiner Protagonisten hinter der wohlanständigen Fassade strenger Konventionen – und entlarvt auf diese Weise die Amoralität und Scheinheiligkeit des katalanischen Bürgertums zu Beginn des 20. Jahrhunderts, das Politik, Wirtschaft und Moral als Privatangelegenheit ansieht, aus der es möglichst großen persönlichen Nutzen zu ziehen gilt. Sagarra ist Chronist des radikalen Wandels von der Feudal- zur Industriegesellschaft, der soziale Machtverhältnisse auf den Prüfstand stellt und neu definiert. Den Resonanzboden des Romans bildet eine für Barcelona bedeutsame historische Zäsur: der Übergang von der Diktatur zur kurzlebigen Republik. Für kurze Zeit geben sich die Katalanen der Illusion einer politischen Emanzipation hin; Spaniens nationale Katastrophe, der Bürgerkrieg der Jahre 1936–1939, scheint zu diesem Zeitpunkt noch fern. Obwohl die Novellistik in Sagarras Gesamtwerk eine eher untergeordnete Rolle spielte, avancierte »Privatsachen« zu einem Klassiker der Moderne. Nachdem der Roman zunächst der Zensur der Franco-Diktatur anheim gefallen war, gilt er seit seiner ›Wiederentdeckung‹ unbestritten als Meilenstein der katalanischsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts.
Textauszug:


»Die äußere Moral wurde in diesen Familien so streng überwacht, dass man es oft schon anstößig fand, wenn eine berühmte Schauspielerin oder Tänzerin, der Titel eines Romans oder der Name eines intelligenten Autors erwähnt wurden. Niemals kam bei Besuchen bei der Dame des Hauses ein Gesprächsthema über die Lippen, das auch nur im Entferntesten als freizügig hätte ausgelegt werden können. In den Unterhaltungen konnte man nur über Religion, Krankheiten, die Erziehung der Kinder oder Fragen des Personals oder Besitztums sprechen. Politik wurde nur sehr vage und unter malerischen Gesichtspunkten kommentiert.
Die moralische Strenge war rein äußerlich und verhinderte keineswegs, dass nicht im Herzen der am besten dastehenden Familien heimlich jede nur denkbare sexuelle Armseligkeit vorkam, dass sich Fälle schändlicher Degeneration verzeichnen ließen, dass ein angesehener Herr mit weißem Haar, Träger von Baldachinen und Kerzen, ein Homosexueller war, mit allen Folgen, die das hatte, oder ein Sadist, der seine Neigungen feige versteckt in der Mitwisserschaft niedersten Volks pflegte.
In einer Zeit, da das galante Leben unserer Stadt noch nicht das Ausmaß und die Schamlosigkeit von heute angenommen hatte, gingen manche dieser Aristokraten ihren sexuellen Neigungen im Umfeld von Plebs und Gosse nach. Es war nichts Besonderes, wenn sich aller Reiz in den Strümpfen einer Köchin oder in der Leibesfülle einer ausländischen Amme verdichtete. Ein Aristokrat, der einer Tänzerin am Liceu ein Diamantkollier schenkte oder einer Modistengehilfin einen Hut kaufte, der mit Stoffkamelien oder dunkelblauen Vogelfedern verziert war, der galt als skrupellos, als Mann, der seine eigene Klasse öffentlich beleidigte.«

© 2009 Elfenbein Verlag

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