Capriccio Nr. 1
Nicolaus Sombart:
»Capriccio Nr. 1«
Des Wachsoldaten Irrungen und Untergang
Herausgegeben von Carolin Fischer
Mit einem Nachwort von Thomas Sparr
2023, Klappenbroschur, fadengeheftet, farbiges Vorsatz, 104 S.
€ 22 [D] / € 22,70 [A] / sFr 29,90
ISBN 978-3-96160-084-7

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Buch

Band 4 der Neuedition von Sombarts autobiografischen Schriften anlässlich seines 100. Geburtstages am 10. Mai 2023: Um die Eintönigkeit der dauernden Kontrollgänge auf einem französischen Flugplatz zu überwinden, schafft sich ein junger Wehrmachtssoldat während der endlosen Wachstunden ein zweites Ich: Tabe. Und Tabe ist sein funkelndes Gegenüber, das entwickelt, was die grauenhafte Realität des Kriegsalltags verhindert, denn er will sich von allen Bindungen lösen, um in eine absolute Dimension des Menschseins vorzustoßen, eine Existenz ohne Zwänge. Doch was Tabe plant, führt den Wachmann ins Verderben. — In seiner Novelle — erstmals bei der legendären Tagung der Gruppe 47 am Bannwaldsee gelesen und in der von V. O. Stomps herausgegebenen Reihe »Begegnung der Generationen« erschienen — sieht Sombart einen »spleenig-spielerischen Beitrag zur Phänomenologie der Überlebensbedingungen des bürgerlichen Subjekts im Zeitalter seiner Liquidierung«.
Ebenfalls lieferbar:
»Jugend in Berlin. Ein Bericht. 1933–1943.«
»Rendezvous mit dem Weltgeist. Heidelberger Reminiszenzen. 1945–1951.«
»Pariser Lehrjahre. Leçons de Sociologie. 1951–1954.«
»Journal intime 1982/83. Rückkehr nach Berlin«.

Autor

Nicolaus Sombart (1923–2008), Sohn des Nationalökonomen Werner Sombart, war Gründungsmitglied der Gruppe 47. Er wurde 1952 in Heidelberg mit einer Dissertation über Henri de Saint-Simon promoviert. Zwischen 1954 und 1984 arbeitete er beim Europarat in Straßburg. Er schrieb u. a. Essays über Charles Fourier, Wilhelm II. und Carl Schmitt.

Herausgeberin

Carolin Fischer (geb. 1962) ist Professorin für Allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Pau (Frankreich). Ab 1993 war sie regelmäßiger Gast bei Nicolaus Sombarts sonntäglicher Teerunde, der verschiedene seiner Bücher in ihrem 1988 gegründeten Salon vorstellte. Bis 2009 lud sie zu diesem regelmäßig Künstler, Schriftsteller, Intellektuelle. Neben Marcel Beyer, Wolfgang Büscher, Ulrike Draesner, Joachim Helfer, Alban Nikolai Herbst, Thomas Hettche und Sibylle Lewitscharoff las hier auch wiederholt Nicolaus Sombart, so anlässlich der Premiere seines Erinnerungsbuches »Journal intime 1982/83. Rückkehr nach Berlin«.

Beiträger

Thomas Sparr (geb. 1956) ist Literaturwissenschaftler. Er lehrte u. a. an der Hebräischen Universität in Jerusalem und ist heute Editor-at-Large beim Suhrkamp Verlag.

Auszug

Nichts, glaubte ich, sei zermürbender als der Dienst bei einem Wachkommando.
Wohl mochte der Kampf in dünnbesetzter Stellung bis zur Grenze des physisch Möglichen ermüden. Doch hielt da wenigstens der Kitzel unberechenbarer, durch ständige Verluste augenscheinlicher Gefahr die Spannkraft wach. Da saß der Tod im Nacken, und man wusste, warum man sich schindet. Was aber sollte wohl inmitten der bukolischen Verträumtheit eines Etappenflugplatzes, auf dem leerstehende Hangars der einzig öde Vorwand einschläfernden Besorgens sind, den Einsatz würzen, der sich darin erschöpft, einen in wohlbemessenem Abstand an den spärlichen Auslauf eines Postenbereiches zu legen, wie einen Köter? Mir wenigstens versagte sich jeder aufmunternde oder gar nötigende Anreiz, dieweil ich dazu ausersehen war; als Angehöriger einer bescheidenen Einheit, der die Hütung des Notflugplatzes Vitry-en-Artois oblag und die im Städtchen selben Namens Quartier bezogen hatte. Hélas!
Dabei war es doch schon immer mein liebster Wunsch gewesen, einmal Frankreich zu sehen: die Silbersee der Côte d’Azur, Lourdes, Chartres’ Kathedrale oder die waldig schlössergekrönten Hänge der Loire. Vor allem aber Paris. Mein Paris, mit seinen Bouquinisten am Seinequai im Schatten von Notre-Dame und den ansteigenden Straßen des Montparnasse und den etwas düsteren Vierteln der Rive Gauche mit den Studentencafés und allem anderen, was ich von Gravuren kannte, die über meinen Bücherborden hingen, und aus französischen Autoren, die sorgfältig darin gesammelt standen.

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