Mit der ersten deutschen Übersetzung der Romanreihe »Almosen fürs Vergessen« kann Simon Raven nun endlich auch hierzulande entdeckt werden. Mal mehr, mal weniger locker mit dem Lebensweg des englischen Berufssoldaten und Schriftstellers Fielding Gray verbunden, der nach einem Indienaufenthalt auch auf Zypern und in Deutschland stationiert ist, umspannen die zehn jeweils eigenständig lesbaren Romane erzählerisch die Jahre 1945 bis 1973. Sie sind miteinander verwoben durch die Mitglieder einer Gruppe privilegierter Internatsschüler, die sich im ersten Band »Fielding Gray« eben anschicken, in verschiedene politische, publizistische, wirtschaftliche und militärische Schaltstellen des britischen Gesellschaftslebens aufzurücken. Berührend, unerschrocken und höchst unterhaltsam erzählt Simon Raven davon, wie »menschliches Bemühen und Wohlwollen beständig dem heimtückischen Wirken von Zeit, Zufall und der übrigen Menschheit ausgesetzt sind«. Ein elitäres Bildungssystem, der Zusammenbruch des Britischen Reiches, Suezkrise und Kalter Krieg, Atomwaffenentwicklung und Studentenrevolte bilden den Hintergrund, vor dem die moralische Hybris und die menschlichen Schwächen der britischen Oberschicht und der zunehmend auch tonangebenden »Upper Middle Class« ins Visier genommen werden.
Die Ausgabe startete im Frühjahr 2020 mit dem Roman »Fielding Gray« in der Übersetzung von Sabine Franke und wird in halbjährlichem Rhythmus durch jeweils einen weiteren Roman der Reihe ergänzt, bis sie im Herbst 2024 abgeschlossen sein wird. Subskribenten der Ausgabe wird ein Preisnachlass von € 3,— je Band gewährt.
Korfu 1970, beim Dreh eines Monumentalfilms über die Irrfahrten des Odysseus: Jules Jacobson, Regisseur der namhaften amerikanischen Firma Clytemnestra Films, sitzt zwischen allen Stühlen. Dem Produzenten schwebt ein spektakulärer Kassenschlager vor, die Geldgeber fordern hingegen künstlerische Treue zum homerischen Original, die Stars liegen ihm mit Sonderwünschen in den Ohren, und ein sexsüchtiges Starlet mischt die sittsame griechische Kleinstadt, in der das Filmteam logiert, gründlich auf. Es reicht nicht, dass ein eilig eingeflogener Historiker aus Cambridge die Auswahl der Drehorte und das Drehbuch einer kritischen Prüfung unterzogen hat — die Verse Homers sträuben sich gegen die Verwendung im Film. Ein versierter Schriftsteller mit einem Faible für Literatur der Antike muss her und verwendbare Filmdialoge schaffen — Fielding Gray, der sich am Ort des Geschehens aber nicht nur in die paradiesisch bezahlte Textarbeit vertieft. Er taucht ein in die Welt selbstsüchtiger Darsteller, millionenschwerer Förderer und listenreicher Filmemacher, bis der Strudel aus Begehrlichkeiten, Intrigen, Ruhmeswillen und Gier auch ihn selbst erfasst.
Im achten Band der Romanreihe »Almosen fürs Vergessen« nimmt Simon Raven sich für seine Panoramaschau der gehobenen britischen Nachkriegsgesellschaft wie gewohnt mit Witz und Biss die Kulturindustrie und ihre Protagonisten vor.
Simon Raven (1927—2001) besuchte als Spross einer Strumpffabrikantenfamilie die elitäre Charterhouse School, von der er 1945 wegen homosexueller Handlungen relegiert wurde. Unter seinen Mitschülern waren u. a. James Prior (später Minister im Kabinett von Margaret Thatcher) sowie der spätere Herausgeber der »Times«, William Rees-Mogg. Beide hat er in der Romanreihe »Almosen fürs Vergessen« literarisch verewigt. Nach seinem Militärdienst, den Raven als Offiziersanwärter in Indien ableistete, studierte er ab 1948 am King’s College in Cambridge Altphilologie. Er wurde Vater eines Sohnes und heiratete widerwillig. In finanzielle Schwierigkeiten geraten, trat er erneut in die Armee ein, wurde in Deutschland und in Kenia stationiert, quittierte den Dienst aber schließlich, um eine unehrenhafte Entlassung wegen Wettschulden abzuwenden. Fortan widmete er sich der Schriftstellerei und arbeitete als Literaturkritiker. Der Verleger Anthony Blond nahm ihn 1958 unter der Bedingung, mindestens 50 Meilen von Londons Vergnügungsstätten entfernt zu wohnen, unter Vertrag — ein Arrangement, das sich drei Jahrzehnte bewährte. Ein ausschweifender Lebenswandel, kühne Meinungen, seine offen ausgelebte Bisexualität und die Tatsache, dass er das Material für seine Bücher aus dem unmittelbaren Freundeskreis gewann und mit freizügigen Sexszenen und scharfzüngigen Urteilen über die Gesellschaft kombinierte, verschafften ihm einen Ruf als Schandmaul unter den englischen Nachkriegsautoren. Gleichwohl wurde er von namhaften Kollegen wie etwa Anthony Powell nicht nur als Literaturkritiker, sondern auch als Literat geschätzt. Sein 10-bändiger Romanzyklus »Alms for Oblivion« (1964—1976) wird heute mit dem Werk von Lawrence Durrell, Graham Greene, Anthony Powell und Evelyn Waugh verglichen und Raven als »einer der brillantesten Romanciers seiner Generation« bewertet (Patrick Newley). Bekannt wurde Raven auch durch die Verfilmung von Trollopes »The Pallisers« (1974) und die Fernsehserie »Edward and Mrs. Simpson« (1978) sowie die Mitarbeit am Drehbuch für den James-Bond-Film »Im Geheimdienst Ihrer Majestät« (1969). Dem Vorwurf, ein Snob zu sein, begegnete er mit dem Hinweis, er schreibe »für Leute, die sind wie ich: gebildet, weltgewandt und skeptisch«.
»Eine funkelnde Reverenz an die schier unendliche Vielfalt menschlicher Gemeinheiten« (Times Literary Supplement)
»Ein schönes Lesevergnügen ... ein Autor mit Kultpotenzial.« (Michael Angele, Der Freitag)
»Raven vollbringt in ›Fielding Gray‹ ein kleines Meisterstück.« (Andreas Platthaus, Frankfurter Allgemeine Zeitung)
»Raven schockiert, weil er Beschämendes mit Eleganz würdigt — und Würdevolles beschämend darstellt.« (Stephen Fry)
»Raven denkt wie ein Halunke, aber er schreibt wie ein Engel.« (The Guardian)
»Der vergnüglichste Romanzyklus, der jemals geschrieben wurde.« (A. N. Wilson)
»Selbstbewusst, weltgewandt, skurril... Ein höchst unterhaltsamer Erzählstil.« (Sunday Times)
Für die größten und anhaltendsten Schwierigkeiten sorgte die Trunksucht von Odysseus, einem graumelierten und international beliebten Veteranen romantischer Seefahrtsfilme aus den Kriegsjahren, der erst dann zu voller Form auflief, wenn er eine Flasche Whisky zu zwei Dritteln geleert hatte, sobald er aber den Rest auch noch trank, schlichtweg zu gar nichts mehr zu gebrauchen war. Die Alkoholmenge, um die es dabei ging, blieb konstant dieselbe und wich nie auch nur um ein Quäntchen ab: Wenn der Filmstar ein Drittel der Flasche intus hatte, wurde, was er bot, langsam passabel, bei zwei Dritteln (haargenau) wurde er brillant, bei drei Dritteln … auf den Tropfen … war er ein hoffnungsloser Fall. Glücklicherweise ließ sich durch diese präzise Berechenbarkeit Jules' Arbeit gerade so bewältigen: Es kam ein speziell präparierter Dekanter zum Einsatz, der als Uhr zu fungieren hatte, und der gesamte Drehtag richtete sich nicht nach den vergehenden Stunden, sondern danach, wie tief der Bourbon von Odysseus bereits stand. An Tagen, an denen der Stand zu schnell sank, musste Jules alles daransetzen, den Helden vor der Kamera zu halten und den Take in den Kasten zu bekommen, bevor die finale und fatale Dosis seinen Rachen hinabrann und Odysseus in ein unerschütterliches Koma verfiel.
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