Mit der ersten deutschen Übersetzung der Romanreihe »Almosen fürs Vergessen« kann Simon Raven nun endlich auch hierzulande entdeckt werden. Mal mehr, mal weniger locker mit dem Lebensweg des englischen Berufssoldaten und Schriftstellers Fielding Gray verbunden, der nach einem Indienaufenthalt auch auf Zypern und in Deutschland stationiert ist, umspannen die zehn jeweils eigenständig lesbaren Romane erzählerisch die Jahre 1945 bis 1973. Sie sind miteinander verwoben durch die Mitglieder einer Gruppe privilegierter Internatsschüler, die sich im ersten Band »Fielding Gray« eben anschicken, in verschiedene politische, publizistische, wirtschaftliche und militärische Schaltstellen des britischen Gesellschaftslebens aufzurücken. Berührend, unerschrocken und höchst unterhaltsam erzählt Simon Raven davon, wie »menschliches Bemühen und Wohlwollen beständig dem heimtückischen Wirken von Zeit, Zufall und der übrigen Menschheit ausgesetzt sind«. Ein elitäres Bildungssystem, der Zusammenbruch des Britischen Reiches, Suezkrise und Kalter Krieg, Atomwaffenentwicklung und Studentenrevolte bilden den Hintergrund, vor dem die moralische Hybris und die menschlichen Schwächen der britischen Oberschicht und der zunehmend auch tonangebenden »Upper Middle Class« ins Visier genommen werden.
Die Ausgabe startete im Frühjahr 2020 mit dem Roman »Fielding Gray« in der Übersetzung von Sabine Franke und wird in halbjährlichem Rhythmus durch jeweils einen weiteren Roman der Reihe ergänzt, bis sie im Herbst 2024 abgeschlossen sein wird. Subskribenten der Ausgabe wird ein Preisnachlass von € 3,— je Band gewährt.
Der Romanautor Fielding Gray wird 1962 von der BBC beauftragt, in der Sendereihe „Heute ist Geschichte“ ein ungeschöntes Bild der Unabhängigwerdung Zyperns zu zeigen. Einst als Berufssoldat dort stationiert, ist Gray seit einem Bombenanschlag fürs Leben gezeichnet, der seiner Offizierskarriere damals ein jähes Ende gesetzt hat. Kaum hat Gray mit der Recherche begonnen, ereignen sich mysteriöse Unfälle, die ihn offenbar von seiner Mission abbringen sollen. Und kurz bevor er in Athen einen legendären Guerillaführer interviewen kann, wirft ihn die Begegnung mit einem jungen Mann aus der Bahn, die ihn noch auf andere Weise in die Vergangenheit entführt — in die schuldhaften Verstrickungen einer fatalen Liebesgeschichte in seiner Jugend. Vom Leben versehrt, stürzt Gray sich in den Ruinen der Antike in ein unverhofftes Glück, in dem für kurze Zeit das Gestern einem hoffnungsfrohen Heute weicht und die Rollen zwischen Opfer und Täter noch nicht verteilt scheinen.
Im sechsten Band seiner Romanreihe „Almosen fürs Vergessen“ verfolgt Simon Raven (1927–2001) die Geschichte eines Glücksuchenden zwischen vertuschten Verbrechen, skrupellosen Agenten und kulturpolitischen Machtinteressen — und führt ein weiteres Mal vor, dass man mit dem Lachen der Furien nicht nur in der Antike zu rechnen hat.
Simon Raven (1927—2001) besuchte als Spross einer Strumpffabrikantenfamilie die elitäre Charterhouse School, von der er 1945 wegen homosexueller Handlungen relegiert wurde. Unter seinen Mitschülern waren u. a. James Prior (später Minister im Kabinett von Margaret Thatcher) sowie der spätere Herausgeber der »Times«, William Rees-Mogg. Beide hat er in der Romanreihe »Almosen fürs Vergessen« literarisch verewigt. Nach seinem Militärdienst, den Raven als Offiziersanwärter in Indien ableistete, studierte er ab 1948 am King’s College in Cambridge Altphilologie. Er wurde Vater eines Sohnes und heiratete widerwillig. In finanzielle Schwierigkeiten geraten, trat er erneut in die Armee ein, wurde in Deutschland und in Kenia stationiert, quittierte den Dienst aber schließlich, um eine unehrenhafte Entlassung wegen Wettschulden abzuwenden. Fortan widmete er sich der Schriftstellerei und arbeitete als Literaturkritiker. Der Verleger Anthony Blond nahm ihn 1958 unter der Bedingung, mindestens 50 Meilen von Londons Vergnügungsstätten entfernt zu wohnen, unter Vertrag — ein Arrangement, das sich drei Jahrzehnte bewährte. Ein ausschweifender Lebenswandel, kühne Meinungen, seine offen ausgelebte Bisexualität und die Tatsache, dass er das Material für seine Bücher aus dem unmittelbaren Freundeskreis gewann und mit freizügigen Sexszenen und scharfzüngigen Urteilen über die Gesellschaft kombinierte, verschafften ihm einen Ruf als Schandmaul unter den englischen Nachkriegsautoren. Gleichwohl wurde er von namhaften Kollegen wie etwa Anthony Powell nicht nur als Literaturkritiker, sondern auch als Literat geschätzt. Sein 10-bändiger Romanzyklus »Alms for Oblivion« (1964—1976) wird heute mit dem Werk von Lawrence Durrell, Graham Greene, Anthony Powell und Evelyn Waugh verglichen und Raven als »einer der brillantesten Romanciers seiner Generation« bewertet (Patrick Newley). Bekannt wurde Raven auch durch die Verfilmung von Trollopes »The Pallisers« (1974) und die Fernsehserie »Edward and Mrs. Simpson« (1978) sowie die Mitarbeit am Drehbuch für den James-Bond-Film »Im Geheimdienst Ihrer Majestät« (1969). Dem Vorwurf, ein Snob zu sein, begegnete er mit dem Hinweis, er schreibe »für Leute, die sind wie ich: gebildet, weltgewandt und skeptisch«.
»Ravens Charaktere kommen einem schon bald wie alte (meist verruchte) Freunde vor.« (Peter Hitchens)
»Ein schönes Lesevergnügen ... ein Autor mit Kultpotenzial.« (Michael Angele, Der Freitag)
»Raven vollbringt in ›Fielding Gray‹ ein kleines Meisterstück.« (Andreas Platthaus, Frankfurter Allgemeine Zeitung)
»Raven schockiert, weil er Beschämendes mit Eleganz würdigt — und Würdevolles beschämend darstellt.« (Stephen Fry)
»Raven denkt wie ein Halunke, aber er schreibt wie ein Engel.« (The Guardian)
»Der vergnüglichste Romanzyklus, der jemals geschrieben wurde.« (A. N. Wilson)
»Selbstbewusst, weltgewandt, skurril... Ein höchst unterhaltsamer Erzählstil.« (Sunday Times)
Raus! Sofort! Bloß wie? … Nach innen springen, Richtung Hang. Aber selbst dann: Schienen, Zäune, Kabel, Felsen, Gott weiß was noch. Schlafwagen: Bettzeug! Er stürzte zurück zu seinem Abteil. Der Wagen polterte und kippte, ihn hart gegen die Wand des Gangs schleudernd, doch nach einem metallenen Kreischen und dem Ächzen von Holz war der Status quo ante wiederhergestellt. Letzte Chance: Raus vor der nächsten Kurve. Er hechtete in sein Abteil, packte den Stapel Decken auf dem oberen Bett. Die Matratze — benutze sie wie einen Schild! Mit der Matratze und den Decken beladen wankte er noch einmal durch den Gang, zu den beiden seitlichen Türen am hinteren Ende. Er wickelte sich die Decken um seine Lenden und den Kopf, stieß die Tür auf, die von der Küste dort unten wegführte, umwickelte seine Arme bis zu den Händen mit zwei weiteren Decken, hielt sich die Matratze vor den Bauch, so dass sie ihn vom Gesicht bis zu den Schienbeinen schützte, und dann, als die Räder in den Gleisen zu schleifen und zu kreischen begannen, sprang er schräg (mit dem Kopf leicht voran) von den Eisenstufen ab, die aus der offenen Tür hinausführten. Sein letzter Gedanke, als er in die Schwärze fiel, galt der Mesusa von Gregory Stern, die er, in ein Taschentuch gewickelt, in der Brustinnentasche an seinem Herzen trug: Mochte der heilige Name Schaddai ihn retten, wenn Er denn wollte.
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