Marcel Schwob: Manapouri
Marcel Schwob:
»Manapouri«
Reise nach Samoa 1901/1902
Mit Briefen von Robert Louis Stevenson und Marcel Schwobs Essay über ihn
Herausgegeben, übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Gernot Krämer
2017, Gebunden, farbiger Vorsatz, Lesebändchen, 216 Seiten
€ 22,— [D] / € 22,60 [A] / sFr 31,80
ISBN 978-3-932245-82-4
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Buch

Mitte der 1890er Jahre be el den Schriftsteller Marcel Schwob eine schwere Krankheit, die sich trotz mehrerer Operationen verschlimmerte und sein Schaffen fast vollständig zum Erliegen brachte. Auf ärztliche Empfehlung machte er eine Seereise, begleitet von seinem chinesischen Pfleger Ting und dem Affen Lanka. Einem Freund schrieb er vor der Abfahrt: »Ich schreite zu meiner finalen Behandlung. Wenn ich nach sechs Monaten nicht geheilt bin, gebe ich alles auf.« Das Ziel war Samoa, denn Schwob träumte davon, den Spuren seines Brieffreunds Robert Louis Stevenson zu folgen, der gleichfalls der Gesundheit wegen in die Südsee gereist war, und dessen Grab zu sehen. Die Briefe, die er unterwegs an seine Frau, die gefeierte Schauspielerin Marguerite Moreno schrieb, zeichnen die Etappen der Reise über Ägypten, Dschibuti, Ceylon und Australien nach. Sie enthalten eindrucksvolle, poetische Schilderungen von Wetter und Meer, sarkastische Porträts von Mitreisenden, Szenen aus dem Bordleben und Erlebnisse an Land. Die Reise entwickelte sich zu einer finanziellen und gesundheitlichen Katastrophe; Schwob kam nur knapp mit dem Leben davon und musste heimreisen, ohne Stevensons Grab gesehen zu haben. Er starb drei Jahre später in Paris.
Die Reisebriefe sollten den Grundstock einer literarischen Arbeit bilden, zu der es nicht mehr kam. Sie wurden postum veröffentlicht und gelten als ein Hauptwerk Schwobs. Ergänzt wird der Band durch die Briefe Robert Louis Stevensons an Schwob sowie durch einen Essay von Schwob über Stevenson.

Autor

Marcel Schwob (1867—1905) gehört zu den Geheimtipps der französischen Literatur um 1900. Innerhalb weniger Jahre schrieb er fünf Bände mit Erzählungen, um dann bis zu seinem frühen Tod als Schriftsteller zu verstummen.
Im Elfenbein Verlag erschienen bereits Schwobs Erzählbände »Das gespaltene Herz« und »Der Kinderkreuzzug«.

Auszug

Ein Schiff ist buchstäblich eine eigene kleine Welt. Es hat seine eigene Ortszeit, die es mit keinem Ort im Universum teilt und die offiziell immer Schlag Mittag, tatsächlich aber jede Sekunde während der Fahrt wechselt. Sein Himmel dreht sich, und seine Sterne fliehen wie der Himmel und die Sterne eines fremden Himmelskörpers, der eine andere Umlaufzeit als die Erde hat. Sein Horizont ändert sich ständig, und nie fährt es durch die gleichen Wasser und Lüfte. Die Alltagssprache ist eine andere; es ist nicht ein, zwei, drei Uhr, sondern man hat ein, zwei, drei Glasen geschlagen. Das ist keine Klingel, die automatisch schellt; es ist ein Mensch, der eine Glocke läutet. Backbord und Steuerbord sind zwei durchaus verschiedene Teile dieser kleinen Welt, in denen weder die Atmosphäre noch die Temperatur und nicht einmal das Wetter gleich sind. Die Backbordseite kann Gischt aufnehmen, ohne dass es an Steuerbord jemand mitbekommt. Tag und Nacht sind nicht sehr verschieden, und der Schlaf kommt nicht zu festen Stunden, zumal die Ladepforten jederzeit geöffnet und geschlossen werden können und das Deck nicht nur Schlafsaal ist, sondern auch Flaniermeile, Allee, Grünanlage, ein Park, wo ein Gartenfest stattfindet, oder die Laube eines Weinhändlers, wo man sich aufspielt oder Tonneau spielt. Spardeck, Reling, Bilge, Magazin, Kohlenbunker, Kombüse, Offiziersmesse, Gräting, Planken, Ladepforten werden einem vertraut wie Wohnstube, Esszimmer und Küche. Es gibt bei den Eingeborenen dieser winzigen Welt sogar Dialekte. So ist eine Sturmbö für den Matrosen eine Windsbraut, für den Oberkellner eine Sprühsee, und der Kapitän sagt: »Wir kreuzen Wale.« Abergläubische Welt zudem, in der man an Seeschlangen glaubt und ein Taifun ein »Biest« ist, das man am Schwanz packen kann.
(Freitag, 1. November 1901)

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