Hillebrand: Jagdsaison
Franz Hillebrand:
»Jagdsaison«
Roman
2001, geb., 306 S.
€ 18 [D] / € 18,60 [A] / sFr 26
ISBN 978-3-932245-46-6
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Buch

Robert Krugk, Kleinstadt-Gynäkologe und Sonntagsjäger, lauert von seinem Hochsitz aus schon seit Wochen auf das Erscheinen eines besonders kapitalen Rehbocks. Stattdessen dringt an einem heißen Sommerabend ein Liebespaar in das Jagdrevier des Arztes ein: seine ausnehmend hübsche Praktikantin, in der er sich heillos verknallt hat, und ihr Galan, ein in jungen Jahren bereits verfetteter Beamter. Ohne sich weiter zu besinnen, streckt Krugk den Nebenbuhler mit der Flinte nieder und stellt daraufhin, von Geilheit übermannt, dem Objekt seiner Begierde nach. Der Mord und die anschließende Verführung der Praktikantin setzen einen rasanten Automatismus in Gang, in dessen Folge die moralischen Fundamte des westfälischen Provinznestes, ja die gesamte sittlich-soziale Ordnung der Region völlig aus den Fugen geraten. Franz Hillebrandt erzählt in seinem außerordentlichen Romandebüt von den Perversionen, Aberrationen und Bestialitäten, die Bildungselite und Geldadel nur mühsam unter der Oberfläche einer bürgerlichen Existenz zu bändigen vermögen, in Ausnahmesituationen aber erbarmungslos den schönen Schein durchbrechen. Der Autor zeichnet ein furioses Psychogramm der Gegenwart, das in seiner Radikalität mit vollem Recht auch den Titel „German Psycho“ tragen könnte.

Autor

Franz Hillebrandt (1951—2013) arbeitete als Nachtportier, Rezeptionist und Personalleiter. Weitere Veröffentlichung: »Der sich selbst erfüllende Prophezeihund« (1993).

Auszug

Robert Krugk bekam den Sohn des Juweliers daher sehr schön ins Zielfernrohr. Obwohl als Schütze durch die Verletzung beeinträchtigt, ortete er sein Objekt rasch. Krugks rechtes Auge drohte vom sickernden Blut verschlossen zu werden. Mit äußerster Willensanstrengung hielt er sich bei Bewusstsein. Sekunden blieben ihm. Zeit, die raste und zugleich ewig und weit schien.
Gleich einem zarten, kuriosen Insekt flog das Fadenkreuz Hardis Bauch an, ließ sich dort nieder, krabbelte dann wählerisch auf dem Hodensack herum, flitze hinauf zu Hardis Mund und huschte von dort zwischen dem noch verbliebenen Sonnenbrillenglas und der bleich aus dem anderen Rahmen schimmernden Augenhöhle hindurch auf die Stirn. Das feine Kreuzzeichen erinnerte Krugk für den Bruchteil einer Sekunde an jenen lang zurückliegenden Aschermittwoch, an dem er zum ersten Male bei der Zeremonie mit der Asche zugesehen hatte. Blut schlängelte über Krugks Handballen zum Puls und tropfte von dort auf die Hose. Er hielt die Waffe jetzt dermaßen starr, als versteinere ihn ein Krampf. Oder Kälte. Zu ewigem Eis. Es dunkelte sanft vor Krugks zielender Pupille. Bevor Hardi Buchwald mitsamt dem Grinsen infolge der rapide schwindenden Sehkraft unsichtbar wurde, schoss Krugk.

© 2001 Elfenbein Verlag

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