»Apropos Geschlechtskrankheit. — Kennen Sie eigentlich die Geschichte, wie Gotthilf Dornheim einmal für kurze Zeit unter die Hundehalter gegangen ist? Nein?«
Der Stolz des Japaners — Eine Anekdote
Bitte merken Sie sich für einen Moment, wo wir in meiner Lebensgeschichte stehengeblieben sind. Wir wollen später bei Anna und bei Frau Schaller wieder ansetzen. Zunächst aber drängt es mich, Ihnen etwas mehr über meinen Vater und über Onkel Gotthilf zu erzählen. Mein Erzeuger der eine, mein Mentor der andere.
Mein Vater, ein, wie wir wissen, ohnehin nicht eben sinnenfroher Zeitgenosse, litt unter einem in unseren Breiten ausgesprochen seltenen Gebrechen: Er konnte keinen Alkohol vertragen. Schon der kleinste Tropfen machte die Umsitzenden zu Zeugen der gespenstischen Verwandlung Friedhelm Dornheims in einen wüst grölenden Mr. Hyde. Da nun der Ärmste - selbständiger Kaufmann, wie Sie sich vielleicht erinnern - nicht umhinkam, bisweilen an Geschäftsessen teilzunehmen, bei welchen Abstinenz als Ausdruck von Schwäche oder unseriöser Durchtriebenheit galt, beschloß Dr. Jekyll, seinem Problem auf den Grund zu gehen und Dr. Schedlich aufzusuchen.
Das Untersuchungsergebnis war niederschmetternd: »Tja, mein lieber Dornheim, ich habe hier Ihre Laborwerte vor mir liegen. Seltsam, wirklich seltsam …«
»Krebs?« erkundigte sich mein Vater mit zittriger Stimme.
»Blödsinn! Wer hat Ihnen denn sowas eingeredet? Warten Sie … Hier, trinken Sie erst mal einen Schluck Wasser. Sie sind ja leichenblaß. Krebs - so ein Blödsinn! Nein, die Sache ist zwar äußerst ungewöhnlich, aber vergleichsweise harmlos. Lassen Sie es mich so erklären. In Ihrem organischen Bausatz fehlt ein winziges Teilchen. Ein Enzym, um genau zu sein. Und zwar jenes, welches den Alkoholabbau im Körper unterstützt. Ein Phänomen übrigens, das bislang nur in Japan und einigen anderen asiatischen Gegenden beobachtet worden ist.«
»Und das bedeutet?«
»Das bedeutet, daß Sie im Grunde Ihres Herzens ein Japaner sind, mein Bester«, nahm Dr. Schedlich meinen alten Herrn auf die Schippe. »Passen Sie nur auf, daß Ihnen nicht noch Mandelaugen wachsen!«
»Ich darf also keinen Alkohol trinken?« fragte Friedhelm Dornheim zögerlich.
»Nun«, grinste der Arzt, »sehen wir es doch einfach positiv: Während der durchschnittliche deutsche Mann für einen Vollrausch mindestens fünfundzwanzig Mark berappen muß, kommen Sie mit fünfzig Pfennigen hin.«
Da war guter Rat teuer. Noch dazu, wo für den folgenden Tag - Donnerstag, den 18. September 1975 - ein wichtiges Geschäftsessen terminiert war.
Moment mal! Der 18. September 1975? War da nicht etwas? Natürlich, an diesem 18. September verabschiedete der Heidelberger Gemeinderat mit überwältigender Mehrheit die sogenannte Polizeiverordnung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Stadtkreis Heidelberg, im Volksmund »Pennererlaß« genannt. Die Ordnungshüter sollten künftig befugt sein, Trunkenheit auf öffentlichen Plätzen »mit Geldbußen zwischen fünfzig und eintausend Mark« zu ahnden sowie »randalierende Stadtstreicher« aufzugreifen und »zur Abschreckung« vor den Toren der Stadt, an einer abgelegenen Landstraße, auszusetzen. - Was das mit unserer kleinen Anekdote zu tun hat? Warten Sie's ab.
Nachdem unsere Geschäftsfreunde im altehrwürdigen Hotel Ritter gespeist hatten, wobei das Glas Mineralwasser, welches vor meinem Vater gestanden hatte, toleriert worden war, verlegte man sich zum feucht-fröhlichen Ausklang des Abends in eine Spelunke namens Weinloch, welches sich bis heute irgendwo in der Unteren Straße auftut und in welchem Friedhelm Dornheim nach dem ersten und zugleich letzten Glas Bier heillos versinken sollte …
Kaum hatte mein Vater die einhundert Mark für den zertrümmerten Barhocker entrichtet, da wurde er vom Wirt persönlich der Kneipe verwiesen und dabei zu allem Übel bäuchlings in eine Schlammpfütze katapultiert. Er hatte sich noch nicht richtig berappelt, schon stieß er wilde Flüche und Drohungen aus, worunter jene, wonach er »den ganzen Scheißladen in die Luft jagen« werde, noch die geringste war. Plötzlich hielt ein Polizeiwagen. Zwei Beamte stiegen aus und forderten den schmuddeligen Krawallbruder auf, sich auszuweisen. Als sich mein Vater wenig kooperativ zeigte und statt dessen den Ordnungshütern nahelegte, sich ihren »verdammten Polizeistaat in den Arsch« zu schieben, wurde er rüde ins Auto verfrachtet und irgendwo zwischen Kirchheim und Sandhausen wortlos der sternenklaren Nacht übergeben.
Glücklicherweise gelang es ihm, auf freier Strecke
ein zufällig vorbeikommendes Taxi anzuhalten, welches ihn dann wohlbehalten in die Altstadt zurückgebracht hat.
Seit diesem Tag kann mein ansonsten alles andere als karitativ veranlagter Vater an keinem Bettler mehr vorbeigehen, ohne dem völlig verdutzten Kerl ein Fünfmarkstück in den Hut zu werfen und mit verschwörerischem Pathos auszurufen: »Hier, fürs Taxi!«
»Dieser Autor ist begabt. Ihm gelingt über weite Strecken ein zynisch-ironischer Ton, in dem sich die »gesunde Eitelkeit« der Erzählfigur ausdrücken soll; ein Ton, der an die Art erinnert, in der Nabokov die zwielichtigen seiner Helden zur Selbstdarstellung gebracht hat.«
(Wolfgang Schneider, Frankfurter Allgemeine Zeitung)
»Ein skurriles Buch, elegant dämonisch, mit Humor und nicht ohne Charme.«
(Franz Schneider, Rhein-Neckar-Zeitung)
»Die Sprache des Autors zeugt von Belesenheit, beweist Gewandtheit und stilistische Sorgfalt. Sie kontrastiert, was einen aparten Effekt hat, mit den deftig-derben Passagen der Handlung. Das Buch ist originell und unterhaltend, es befriedigt das eine oder andere voyeuristische Bedürfnis.«
(Frank Pommer, Die Rheinpfalz)
© 1998 Elfenbein Verlag
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