Ich zum Beispiel
Die Lebenserinnerungen Richard A. Bermanns / Von Oliver Fink
In: metamorphosen 26 (1999), 12-13.

Bescheidenheit zählte, so Hermann Broch, zu den Grundzügen seines Charakters. Und so paßt es ins Bild, daß Richard Arnold Bermann in den ersten Sätzen seiner Memoiren betont, er wolle sich darin gar nicht so sehr in den Vordergrund stellen. "Ich zum Beispiel" sei einst ein Zettel beschriftet gewesen, der über dem Schreibtisch des österreichischen Journalisten hing. Gedacht als Ermahnung, von der eigenen Person in seinen Texten nur als Beobachter und Zeuge im Namen und Auftrag seiner Leser zu sprechen. Eine "Autobiographie ohne einen Helden" schwebe ihm vor.

Nun machen sich solch tugendsame Vorreden immer gut, zumal in einem Lebensrückblick, der um die eigene Person gar nicht herumkommt. Allzu wörtlich nehmen sollte man die Zurückhaltung in Bermanns Falle aber nicht. Sehr wohl ist in diesen Aufzeichnungen ein Protagonist auszumachen, dessen mitunter abenteuerlichen Lebenspfaden man mit großer Spannung folgt. Ist dann auch noch die Rede von seinem selbstlosen und lebensgefährlichen Einsatz für Verfolgte des Naziregimes im Wien der dreißiger Jahre, so möchte man ihn vielleicht sogar einen Helden nennen.

Der 1883 in Wien geborene und teilweise in Prag aufgewachsene Sproß eines Versicherungsangestellten zählte zu den berühmtesten Reisekorrespondenten der Zwischenkriegszeit. Für seine Reportagen war Bermann rund um den Globus unterwegs – auch mehrere Romane hat er verfaßt; zur englischen Ausgabe seiner Derwischtrommel schrieb Winston Churchill ein Vorwort. Aufgrund jüdischer Herkunft mußte Bermann 1938 aus Österreich fliehen. Ein Jahr später starb er an Herzversagen im amerikanischen Exil. Daß die dort in Angriff genommene Autobiographie nach fast fünfzig Jahren doch noch das Lesepublikum erreicht, ist letztlich das Verdienst des Deutschen Exilarchivs in Frankfurt am Main, das 1994 eine umfangreiche Ausstellung zu Bermann veranstaltete und ihn damit wieder einer breiteren Öffentlichkeit bekannt machte. Der damals noch in Manuskriptform gezeigte fragmentarische Lebensbericht ist nun im Wiener Picus Verlag erschienenen: eine späte Entdeckung.

Mit sicherem Gespür für Pointen und Anekdoten geht Bermann seine Autobiographie an, die prägenden Erlebnisse und Stationen werden deutlich markiert. Zu letzteren gehörte vor allem Berlin. Nach dem Romanistik-Studium und journalistischen Lehrjahren in Wien war es Hermann Bahr, der ihm empfahl, in die Spreemetropole zu wechseln. Nur dort hätte er die Chance, sich als junges Talent zu entfalten. Bermann nutzte sie. Insbesondere die mit seinem bekanntesten Pseudonym Arnold Höllriegel gezeichneten Artikel im Berliner Tageblatt mauserten sich schnell zu einer Institution im bunten Blätterwald der deutschen Hauptstadt. Eine kleine Auswahl seiner Zeitungsberichte hat gerade der Transit Verlag herausgebracht. Darin finden sich auch einige Reisereportagen.

Bermanns Fähigkeiten in diesem Genre lassen sich auch anhand einzelner Passagen seiner Memoiren ablesen. Anfang 1914 befindet er sich auf einer ersten großen Schiffsreise nach Indien. Und man fühlt sich sogleich in orientalische Welten versetzt, die in leuchtenden Farben vor den Augen des Lesers erstehen. Der Blick Bermanns ist aber immer auch ein ironischer. So stellt der reisende Reporter auf seiner Rückfahrt fest, daß eine in der Tempelstadt Madura erworbene Figur, die "im flackernden Licht der Fackeln unendlich exotisch aussah", eine weniger exotische Herkunft besitzt: "Made in Germany", steht auf der Rückseite geschrieben. Die Vermarktung der Reisesehnsucht – das wird deutlich – ist nicht erst eine Erfindung unserer Tage.

Das Jahr 1914 bedeutet aber auch Ausbruch des Ersten Weltkriegs, der den Österreicher Bermann zwingt, von Berlin an die Donau zurückzukehren. Beinahe unberührt vom Kriegstaumel, der damals fast jeden ergriff, fungiert er fortan als "pazifistischer Kriegsberichterstatter" (Hermann Broch). Ausführlich schildert er den Aufenthalt im Kriegspressequartier. Um seine Sicht der Dinge mitteilen zu können, bedient er sich der verdeckten Schreibweise, mit der die Zensur der Militärs unterlaufen wird. Die Dimensionen dieses epochalen Krieges hatte Bermann längst vor Ausbruch erkannt: zum Beispiel das Ende des Habsburger Vielvölkerstaates, dessen Verfallssymptome in dieser Autobiographie immer wieder angesprochen werden.

Mit den Erlebnissen im Kriegsjahr 1916 bricht das Manuskript im Original ab. Damit die beiden fehlenden Lebensjahrzehnte nicht vollständig ausgeblendet bleiben, hat der Herausgeber in der Buchfassung noch einige autobiographische Essays abgedruckt, die den Lebensbericht episodenartig fortsetzen. Erwähnenswert eine Begegnung mit Charles Chaplin in London, den Bermann zuvor schon bei einem Besuch in Hollywood kennengelernt hatte. Beklemmend schließlich die Schilderung seiner Flucht aus Österreich, die beinahe gescheitert wäre. Daß er erst so spät das Land verließ, hing mit seinen Bemühungen zusammen, zunächst anderen gefährdeten Personen als Fluchthelfer das Exil zu ermöglichen.

Die Memoiren Richard A. Bermanns sind ein faszinierendes Zeitdokument: Lebenserinnerung und Besichtigung der Epoche zugleich. Auch Porträtsammlung prominenter Zeitgenossen, die seinen Weg säumten: Von Sigmund Freud, dessen Patient er für kurze Zeit war, über Victor Adler, den österreichischen Sozialdemokraten, bis hin zu dem befreundeten Arthur Schnitzler. Wünschen möchte man sich eigentlich nur noch, daß in den nächsten Jahren auch andere Werke Bermanns wieder den Weg in die Buchhandlung finden. Vielleicht das schöne Hollywood-Bilderbuch (1927) oder einer seiner Romane.

Richard A. Bermann: Die Fahrt auf dem Katarakt. Eine Autobiographie ohne einen Helden. Mit e. Beitrag v. Brita Eckert, hrsg. v. Hans-Harald Müller. Wien: Picus Verlag, 1998. Geb., 356 S., 39 Mark 80.
Arnold Höllriegel: In 80 Zeilen durch die Welt. Vom Neopathetischen Cabaret bis nach Hollywood. Hrsg. von Christian Jäger und Gregor Streim, Berlin: Transit Buchverlag, 1998. Geb., 127 S., 28 Mark.


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